Gleichheit setzt Individualität voraus: «Frauen werden nur dann wirklich gleichberechtigt sein, wenn Männer mit ihnen die Verantwortung für die Erziehung der nächsten Generation teilen», sagte einst die US-Richterin Ruth Bader Ginsburg. Heutzutage stehen Frauen den Männern bezüglich Ausbildung, Einkommen und Karrierechancen in nichts nach. Internet und Social Media fördern Aufklärung und Transparenz. Ein Blick in die urbane Wohlstands-Bubble zeigt, dass heute um Nachhaltigkeit, Diversität und Gendersternchen gekämpft wird. Und man stellt sich die Frage: Ist die angestrebte finanzielle Freiheit und Gleichheit schon erreicht? Der Praktiker stellt fest, dass dies nur bis zum ersten Kind gilt, also etwa dem dreissigsten Altersjahr. Danach verläuft die Laufbahn nicht mehr linear, die Karriere wird oft mehrere Jahre unterbrochen. Selbst Akademikerinnen bleiben länger zu Hause, der Wiedereinstieg erfolgt später und mit tieferem Pensum, oft verbunden mit weniger Verantwortung und geringerer Entlöhnung. 

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Der Gastkommentator

Reto Spring, CFP und Präsident von Finanzplaner Verband Schweiz, unabhängiger Experte und Dozent für Finanzplanung.

Teures Abenteuer: Kinder

Frauen mit Kinderwunsch sind sich oft nicht bewusst, dass der «Baby-Break» ein «Pricetag» von einer halben Million Franken hat. Hauptsächlich liegt das an der Einkommenseinbusse, aber mit der Auszeit stoppt auch die Pflege des beruflichen Netzwerks, Weiterbildungen bleiben aus und die Vorsorge erleidet im Extremfall auch einen Totalstopp. Selbst wenn nichts Gravierendes passiert (Unfall, Krankheit, Trennung) ist der Verlust bei Einkommen, Humankapital, Karriereperspektiven und Vorsorgegeldern massiv und in der Regel irreversibel. Zwar wird bei einer holistischen Finanzplanung die Absicherung von nicht erwerbstätigen Eltern überprüft, aber die Familienarbeitszeit verdient ideelle und finanzielle Anerkennung. Aber ohne Einkommen gibts kein Geld für Investments und Vorsorgeprodukte. Kinder kosten Geld und die Ansprüche werden nicht kleiner, wenn die Kinder grösser werden. Nicht zuletzt aus finanziellen Gründen sinkt die Geburtenrate in allen industrialisierten Ländern. Werdende Eltern plagen jedoch viele Fragen, Ängste und Herausforderungen: Zeitmangel und fehlender Raum, beruflicher Stress und finanzielle Engpässe.

Traditionelle Finanzplanung kann hier also nur bedingt Antworten liefern. Diese Lücken füllen hingegen Youtube, Blogs und Podcasts mit praktischen Tipps und Infotainment, scheinbar kostenlos und 7/24 frei Haus. Die «Female Finance»-Portale bieten meist auch Wissenswertes zu Nachhaltigkeit und Spiritualität im Alltag, Tipps für den nächsten Karriereschritt (zum Beispiel: selbständig von zu Hause aus arbeiten) und Anleitungen für Persönlichkeitsentwicklung (Mindset, Gesundheit und so weiter). Das hat zwar herzlich wenig mit Finanzplanung zu tun, erfüllt aber offensichtlich ein Bedürfnis. Und es schafft im besten Fall auch eine Gelegenheit, dass Frauen eher starten, sich mit ihren Finanzen zu befassen.

Was ist Finanzplanung für Frauen?

Funktionieren Finanzen für Männer und Frauen unterschiedlich? Bekanntlich ist Mathematik geschlechtsneutral. Und unsere Vorsorgesysteme kennen grundsätzlich keine geschlechtsspezifische Differenzierung (bei identischem Alter, Einkommen, Pensum und so weiter). Wenn Mütter nach der Babypause wieder ins Berufsleben einsteigen, tun sie dies oft mit einem Teilzeitpensum im Niedriglohnsektor. Sie können also selten nahtlos die Karriere fortsetzen, sondern müssten quasi einen Neustart hinlegen. Dieser strukturelle Nachteil ist schwierig zu beheben. Zudem bleiben Schwangerschaft, Geburt und Babypause den Frauen vorbehalten.

Ob Kinderbetreuung als bezahlte Arbeit vergütet werden soll, ist eine politische und eine ökonomische Frage. In einer Partnerschaft wird sie privat gelöst, allerdings meist ohne Vorsorgeansprüche rechtssicher gutzuschreiben, wie man das zum Beispiel in einem Konkubinatsvertrag regeln könnte. Aus fachlicher Optik müssten mindestens die Themen Gesundheitsvorsorge / Absicherungen / Liquiditätsreserve und Altersvorsorge vertieft behandelt werden. Interessanterweise gehen die meisten Ratgeber – von Expertinnen geschrieben – nicht auf diese frauenspezifischen Problemstellungen ein. Vermutlich aus Unwissen, denn viele Portalbetreiberinnen und Ratgeberautorinnen kommen aus dem Journalismus. Was gut ist für Schreibstil und Marketing, führt dann – mangels ökonomischen und finanzplanerischen Know-hows – zu oberflächlichem Inhalt, Lücken und Fehlern. Der Disclaimer «Das ersetzt keine Finanzplanung» nützt nichts, der Schaden bei den Leserinnen ist angerichtet.

Altersarmut ist weiblich

Frauen nehmen eine andere Perspektive ein beim Investmentverhalten und in der Risikowahrnehmung, wie aktuelle Untersuchungen zeigen. Sie sind dadurch im Vorteil, nutzen diesen aber selten. Während Männer eher zum Traden und zu höheren Risiken neigen, halten Frauen länger an einer einmal gewählten Investmentstrategie fest. Zwar empfinden Frauen im Vergleich zu Männern mehr Stress, wenn sie Geld verlieren. Aber sie besitzen ein tendenziell höheres Risikobewusstsein, was zu weniger spekulativem Verhalten führt. Es kann aber auch davon abhalten, eine Entscheidung zu treffen und ein Investment zu tätigen: Bei Frauen ist daher das grösste Anlagerisiko, kein Risiko einzugehen.

Wegen der Kinderpause ist es für Frauen fast noch wichtiger als für Männer, sich frühzeitig um Budget, Finanzplanung und Altersvorsorge zu kümmern. Und im Fall einer Familiengründung auf gleicher Verantwortung für Hausarbeit, Kinderbetreuung und Beruf zu bestehen. Transparenz und offene Kommunikation in der Partnerschaft helfen. Finanzplanerisch ist das grösste Risiko für Frauen die Trennung/Scheidung, weil sie finanziell stärker darunter leiden. «Das passiert mir doch nicht», ist die Standartantwort … Aber über 40 Prozent sind betroffen! Fazit: Altersarmut ist weiblich. Denn weder der Staat noch ein Ehemann sind schliesslich eine Garantie für eine gute Altersvorsorge. Wie lässt sich die Situation verbessern? Finfluencer können sich mit fachlichem Upgrade bei der Aufklärung noch optimieren. Traditionelle Anbieter von Finanzplanung haben noch Potenzial in Aufmachung und Wording, um sensibler auf die Bedürfnisse von Frauen einzugehen. Und alle Frauen sollten frühzeitig ihre Finanzkompetenz erhöhen und ins Handeln kommen.

Fussnoten

1 Keine finanzplanerische Hilfe findet sich zB im „Dein Money 1x1“ von Anne Connelly (2022) oder bei „So wirst du finanziell frei“ von Margarethe Honisch (2022), hingegen schon bei „Flourish financially“ von Kathy Longo CFP (2018).
2 Dilek Teker, Suat Teker & Esin Demirel (2023): „Gender differences in risk perception and investment behavior“: https://www.pressacademia.org/archives/pap/v16/54.pdf
3 UBS Women’s Wealth Studie 2021: https://www.ubs.com/global/de/media/display-page-ndp/de-20210712-womens-wealth.html

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